Die Geschichte der Saerbecker Wallfahrt

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Die Geschichte der Saerbecker Wallfahrt nach Telgte
Eigener Bericht
In Corona-Zeiten ist vieles anders. So kommt jetzt die Ausarbeitung eines kleinen Themas vom Heimatverein über die örtliche Presse.
Das Zeitzeichen, dem wir uns gerade widmen, ist die Geschichte der Saerbecker Wallfahrt nach Telgte.
Das, was wir in den Akten und Ordnern des Heimatvereins dazu gefunden haben, ist als kleine Schrift beigefügt. Wir sind gespannt, ob es Euch gefällt.
Bitte grabt mal in Euren Erinnerungen, ob da noch eine Anekdote, ein Erlebnis oder ob es gar noch irgendwo ein Foto gibt, das Ihr beisteuern könnt.
Viel Spaß beim Lesen
Euer Team vom Heimatverein
Rückmeldungen gerne an Josef Berkemeier
Tel.: 983500
Die Geschichte der Saerbecker Wallfahrt nach Telgte
Eigentlich ist es in Telgte im April immer schon recht quirlig, zumal, wenn die Sonne lacht und es draußen angenehm warm ist. Denn Telgte ist nicht irgendeine Stadt, nein, Telgte ist der größte Wallfahrtsort im Münsterland. Etwa 100.000 Pilger kommen Jahr für Jahr nach Telgte zum Gnadenbild, um es zu bestaunen und dort zu beten.
Doch dieses Jahr ist alles anders. Die seit dem 18. März verhängte Kontaktbeschränkung aufgrund der Corona-Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Der Ort wirkt an diesem Nachmittag des weißen Sonntags fast verlassen. Es sind kaum Leute auf der Straße, auch nicht, als wir uns der Gnadenkapelle nähern und schon an der Clemenskirche stehen.
Seit dem „Lock down“ finden keine heiligen Messen mehr statt. Aber die Gnadenkapelle ist geöffnet. Drinnen steht wie eh und je das Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes. Sie scheint der Zeit zu trotzen. Aus weichem Pappelholz geschnitzt, ist sie um 1370 entstanden.
Die Pieta von Telgte stieg in den folgenden 2 Jahrhunderten nach ihrer Entstehung zu einem Mittelpunkt der Marienverehrung auf. Damals gab es noch keine Wallfahrten. Die Bauern, Tagelöhner, Handwerker, Kaufleute und deren Familien jener Zeit suchten in ihrer starken Volksfrömmigkeit Trost und Hilfe durch das Gnadenbild. Sie baten die Mutter Gottes, ihnen bei der Bewältigung von Nöten des Alltags beizustehen oder Krankheiten zu überwinden und erhofften sich Wunder.
Als diese sich auch noch einstellten, verbreitete sich in der Bevölkerung diese Nachricht wie ein Lauffeuer. Die Stadtväter freuten sich. Ihr Ort war nun um eine Attraktion reicher, allerdings nur mit lokaler Strahlkraft.[1]
Das änderte sich jedoch nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Der Münstersche Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen, der von 1650 bis 1678 regierte, war ein bekennender Gegner der Reformationsbewegung. Dabei spielte die Marienverehrung eine ganz besondere Rolle. Die ablehnende Haltung Martin Luthers gegenüber der Marienverehrung griffen die katholischen Priester auf. Die Geistlichkeit setzte als Sperrspitze ihrer Gegenreformation die Marienverehrung ein, da sie um die Beliebtheit der Marienverehrung in der Bevölkerung wussten. 1651 genehmigte der Fürstbischof die erste große Wallfahrt nach Telgte.
Am 1. Juni 1654 legte er dann den Grundstein für die heutige Wallfahrtskapelle.
Die Aktivitäten zeigten Wirkung. Bereits ein Jahr später (1652) fanden sich die ersten 30 Osnabrücker Pilger, um zur Wallfahrt nach Telgte aufzubrechen. Viele Orte folgten. So sind Wallfahrten aus Greven seit 1655 belegt. Die Pilger aus Altenrheine, deren Wallfahrtsroute durch Saerbeck führt, machen seit 1676 hier in unserem Dorf regelmäßig Rast.Neben der Gnadenkapelle befindet sich die Clemenskirche, deren 60 m hoher Turm schon von weitem zu sehen ist. Die neugotischen Fenster des Gotteshauses sind besonders interessant, da in vielen Fenstern die Orte abgebildet sind, aus denen die Pilger jedes Jahr den Weg nach Telgte finden. Ob auch Saerbeck hier verewigt ist? Tatsächlich, auch ein Fensterbild von St. Georg ist zu finden. (siehe Abbildung 2 / letztes Fenster hinten links in der Clemenskirche zu Telgte)
Das Fensterbild gibt Zeugnis von einer langen Geschichte der Saerbecker Wallfahrt nach Telgte. Das schön gestaltete Bleiglas verrät jedoch nichts über die wechselvolle Geschichte der Saerbecker Wallfahrt. Seit wann die Wallfahrt besteht, ist noch nicht durch den Heimatverein erforscht. In alten Visitations-protokollen des 17. und 18. Jahrhunderts finden sich jedoch Hinweise auf Urteile von Sendgerichten in Saerbeck, bei denen die Verurteilten als Strafe zur Teilnahme an einer Wallfahrt nach Telgte verpflichtet wurden.[2]
Ebenso rätselhaft ist, warum die Saerbecker Wallfahrt nach 1754 für 170 Jahre zum Erliegen kam. In einem Zeitungsartikel im Westfälischen Merkur vom 20. Juli 1925 ist dazu nachzulesen:
Nachdem im vergangenen Jahr (1924) seit der ersten Jahrhundertfeier der Gedenkkapelle in Telgte im Jahre 1754, also nach Verlauf von 170 Jahren, die Pfarrwallfahrt der Gemeinde Saerbeck wieder aufgenommen war unter großer Beteiligung der Gemeindemitglieder – man zählte 530 Pilger – zogen am vergangenen Sonntag zum zweiten Mal die Wallfahrer zur Gnadenmutter aus. Die Anzahl der Pilger stand hinter der im vergangenen Jahr nicht zurück, ein Zeichen, dass die Einrichtung der Pfarr-Wallfahrt einem Bedürfnis entsprach. Der Weg Saerbeck-Greven/ Bahnhof und zurück wurde zu Fuß gemacht. Das Gewitter am gestrigen Nachmittag zwang jedoch die Wallfahrer, in der Grevener Pfarrkirche Schutz zu suchen. Nach einer Andacht sorgte die eingetretene Abkühlung dafür, dass der Rückweg weniger beschwerlich wurde. Die Rückkehr verzögerte sich um eine Stunde, doch waren die Pilger über den Verlauf recht zufrieden.
Ob die Tradition in den 1930er Jahren und der anschließenden Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (1933-1945) aufrecht erhalten werden konnte, gilt es noch zu untersuchen. Sicher ist, dass die Wallfahrten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder stattfanden.
Hiervon berichtet Else Brocks 1956 in einem Schulaufsatz:
Am zweiten Sonntag im Juli ist die Wallfahrt zur schmerzhaften Gottesmutter in Telgte. Die Pilger besuchen am Morgen zunächst die heilige Messe (5 Uhr). Dabei ist es üblich, dass man die Kommunion nüchtern empfängt. Das bedeutet, dass die Gläubigen bewusst in die Kirche gehen, ohne vorher gefrühstückt zu haben. Am Schluss des Gottesdienstes wird der Wallfahrtssegen erteilt. Anschließend wird den Pilgern eine Tasse Kaffee bei Beckers Hedwig, Dyckhoffs und bei Winter angeboten. Dazu essen die Wallfahrer ihre selbst mitgebrachten Stullen. [3]
So gestärkt, setzt sich die Pilgergruppe in Begleitung des Pfarrers und einiger Messdiener zu Fuß zum Bahnhof Greven in Bewegung. Von dort aus geht die Reise weiter mit der Eisenbahn.Am späten Nachmittag kehren die Pilger ebenfalls zu Fuß vom Bahnhof Greven nach Saerbeck zurück. Bei Kurzen (Grevener Straße/ Abzweig Westladbergen) holt ein Priester mit Messdienern die Wallfahrer ab und geleitet sie in die Kirche. Dort wird noch eine feierliche Schlussandachte gehalten.
Bis vor sieben Jahren (1949) war es noch Brauch, den ganzen Weg nach Telgte und zurück zu Fuß zu machen. Am Samstagnachmittag um 12 Uhr brach man auf. Der Weg führte durch Heide und über unbelebte Richtwege. Unterwegs wurde abwechselnd der Rosenkranz gebetet; die Frauen beteten vor und die Männer antworteten. Nach jedem Gesetz sang man eine Strophe des Liedes „Maria, wir rufen zu dir“. Das Reisegepäck wurde auf einem mitfahrenden Leiterwagen gepackt. In Schmedehausen machte man eine kurze Rast. Konnte jemand nicht mehr laufen, so durfte er sich eine Zeitlang auf dem Gepäckwagen setzen.[4]
Betend und singend zogen die Pilger in die Wallfahrtskirche ein. Hier hielt der Saerbecker Priester eine Andacht. Und der Pfarrer von Telgte begrüßte die Wallfahrer. Danach gingen alle in ihre Quartiere, um sich von dem anstrengenden Tag auszuruhen. Am Sonntagmorgen riefen die Glocken die Pilger zur Heiligen Messe. Anschließend gingen sie den großen Kreuzweg. Am Mittag nach der Abschlussfeier zogen alle wieder zurück nach Saerbeck. Am Dorfeingang erwartete sie ein Priester mit Messdienern und Kirchenfahnen. Diese begleiteten die Wallfahrer unter feierlichem Glockengeläute zur Pfarrkirche. Hier wurde der sakramentale Segen erteilt und das Lied „Großer Gott wir loben dich“ gesungen.[5)
Maria Albers kann sich auch heute noch gut an die Wallfahrten nach Telgte in ihrer Jugendzeit erinnern.
„An der reinen Fußwallfahrt habe ich nicht teilgenommen. Dafür war ich damals noch zu jung. Die Erwachsenen hätten uns Kinder auch gar nicht mitgenommen. Dagegen kann ich mich an die Wallfahrten, in denen wir zum Bahnhof Greven gingen, um dann mit der Eisenbahn nach Telgte zu pilgern, noch gut erinnern. Die Teilnehmerzahl konnte sich sehen lassen. Jede Familie im Dorf war darauf bedacht, dass mindestens ein Familienmitglied an der Wallfahrt nach Telgte teilnahm.“[6]
Alfred Maimann, mittlerweile wie Maria Albers 85 Jahre alt, weiß noch von einer Anekdote zu berichten:
„Auf dem Weg durch Greven passierten wir Wallfahrer auch immer die Bergstraße, die in den Niederort führt. Und immer, wenn wir die Bergstraße heruntergingen, sangen wir mit Inbrunst das Lied: „O Maria hilf in diesem Jammertal.“ Damals arbeitete ich noch bei Schründer-Cramer. Mein damaliger Arbeitskollege wohnte an der Bergstraße und ärgerte sich jedes Mal sehr über uns. Montags drauf machte er seinem Ärger wieder Luft, indem er mich darauf ansprach und sein Unverständnis bekundete. Mein Kollege musste allerdings einige Jahre warten, bis das Ärgernis aufhörte.[7]
Ab 1961 gingen die Wallfahrer zu Fuß über Hembergen zum Bahnhof Reckenfeld und fuhren von dort aus mit der Eisenbahn nach Telgte. Diese Änderung war vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Straßenverkehr auf der „Hauptstraße“ nach Greven derart zugenommen hatte, dass sich die Wallfahrer dort nicht mehr sicher fühlten. [9]
Der Weg führte nun von der Kirche aus über die Marktstraße, Emsdettener Straße, Hembergener Straße, über die Hembergener Brücke, durch Hembergen zum Reckenfelder Bahnhof. Auf dem Rückweg wurde bei der Gaststätte Löbke in Hembergen eine kurze Rast gehalten. [10]
Im Dorf wieder angekommen, wurden die Pilger an der Emsdettener Straße in Höhe Heescher/ Bäcker Bärnd von einem Priester und Messdienern empfangen. Sie geleiteten die rückkehrenden Pilger in die Kirche, wo die Wallfahrer den Abschlusssegen erhielten. [11]
In den 80er Jahren veränderte sich abermals die Form der Wallfahrt. Die Pilger trafen sich am Sonntagmorgen um 1 Uhr an der Kirche, um dann zu Fuß über Schmedehausen und Vadrup nach Telgte zu pilgern. Der Rückweg am Nachmittag erfolgte mit dem Reisebus. Alternativ wurden die Radwallfahrt und Mitfahrgelegenheiten in PKWs angeboten.
In den 90er Jahren kam die Wallfahrt zum Erliegen.
Um die Attraktivität der Wallfahrt nach Telgte neu zu beleben, wurde vor etlichen Jahren ein beliebtes Format wieder aufgegriffen. Dazu erschien in der WN am 20.07.2009 der nachstehende Artikel:
Saerbeck Sie ist schon über 250 Jahre alt, die Saerbecker Tradition der Wallfahrt zur Muttergottes nach Telgte. War es in früheren Jahren die Pilgerfahrt zu Fuß oder kombiniert mit Schusters Rappen und der Eisenbahn, so sorgten am Sonntag 30 Pilger mit dem Fahrrad dafür, dass die lieb gewordene katholische Tradition in Saerbeck wach gehalten wird. Organisiert wurde die Radwallfahrt von der Kolpingsfamilie. Nicht von ihrem Ziel abbringen ließen sich die Radfahrer, auch wenn schon an der ersten Station der Wallfahrer in Hüttrup Petrus Nieselregen schickte. Der „Segen“ von oben begleitete die Radfahrer auf ihrem Weg nach Telgte über Bockholt und Westbevern. In Telgte schien dann aber zur Belohnung für die Mühen der Wallfahrt die Sonne, als die Pilger zunächst gemeinsam mit einer Gruppe von Saerbeckern, die mit dem Auto angereist waren, den Kreuzweg beteten und dann den Pilgergottesdienst in der Propsteikirche besuchten. Gegen Mittag machten sich die Radfahrer nach der Anbetung in der Gnadenkapelle wieder auf den Heimweg. „Es ist wichtig, dass die Tradition der Saerbecker Wallfahrt nach Telgte erhalten wird“, finden die Radwallfahrer und haben schon eine Verabredung getroffen: Auch 2010 gehts wieder nach Telgte.
Die jährliche Radwallfahrt nach Telgte, zu der sich im Durchschnitt 30 Pilger auf den Weg machen, hat sich etabliert. Die Wallfahrt beginnt um 6 Uhr in der St. Georg-Pfarrkirche mit dem Reisesegen. Eine Andacht mit einer Frühstückspause findet in Greven-Schmedehausen statt. Für Getränke und einen Imbiss sorgen die Teilnehmer selbst. Nach der Ankunft der Radfahrgruppe wird in Telgte der Kreuzweg gebetet. Die Radwallfahrer machen sich gegen 12 Uhr dann wieder auf den Rückweg. In Westbevern wird eine Mittagspause eingelegt. Gegen 16 Uhr sind die Wallfahrer wieder zurück, vorausgesetzt, dass auch das Wetter mitspielt. [12]
In diesem Jahr hat sich der Wallfahrtsort vorgenommen, das Jubiläum „650 Jahre Gnadenbild zu Telgte“ mit der Bevölkerung und den Pilgern zu feiern.
Doch der Start in die Wallfahrtssaison verzögert sich bereits. Traditionell beginnt sie am Samstag vor dem 1. Mai und endet im Oktober. Am 25. April wollte der Bischof von Münster,Felix Genn, der feierlichen Eröffnung vorstehen. Der Termin wurde jedoch wegen des Corona-Geschehens abgesagt. [13]
So wird das Gnadenbild in seinem Jubiläumsjahr wohl eher von Einzelpilgern besucht werden, genauso, wie es in den Anfängen vor 650 Jahren war. Ob die Saerbecker Radwallfahrt nach Telgte in diesem Jahr stattfinden kann, ist noch nicht entschieden.
Quellenangaben:
[1] https://www.st-marien-telgte.de/telgter-wallfahrt.html
[2] https://www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Gesellschaft_Politik/Wallfahrtsorte
[3] Ergänzt um Informationen zur Stärkung vor dem Abmarsch der Pilger von Paul Wennemann 10.05.20
[4] Toni Adrian erinnert sich am 03.05.20: Als ich mit meiner Schwester Hedwig und Else Heescher Samstagmittag in der Hitze mit den Wallfahrern losmarschieren wollten, machte sich meine Mutter sorgen und sagte zu uns auf Platt: „Gi wühlt doch bi de Hitze nich loslaupen, Blift doch leive to Huse.
[5] Heimatkunde von Saerbeck, 1962 Hermann Berg, S.76 Quelle HVS S2
[6] Telefoninterview von J. Berkemeier mit M. Albers am 04.05.2020
[7] Telefonisch durch Alfred Maimann am 01.05.2020 gegenüber JoBe zu Protokoll gegeben
[8] Telefonisch durch Toni Adrian am 30.04.2020 gegenüber dem Autor JoBe bestätigt
[9] Toni Adrian: Erinnerung an die Wallfahrt in den 50er Jahren
[10] Anmerkung zum WN Artikel von 1963; Heimatvereinsarchiv, Ordner 15
[11 Paul Wennemann erinnert sich am 10.05.20 daran, wie er das Ende einer Wallfahrt erlebte
[12] Ankündigung in der WN vom 04.07.2017
[13] Kirche und Leben Ausgabe 17.04.2020